Effizienter als sich am Boden festzukleben: Mit einem Gebäudehüllen-Beruf die Zukunft gestalten
07.05.2024 von Rebecca Pozzoli Reportage
Am Kader- und Unternehmerforum zeigen Jérome Egli, Mitglied der Kommission Betriebswirtschaft des Branchenverbands sowie Nationalrat und Präsident von Swissolar Jürg Grossen, dass es effizientere Wege gibt, sich für den Klimaschutz einzusetzen, als sich auf den Boden zu kleben: einen Gebäudehüllen-Beruf auszuüben, zum Beispiel. Denn Abdichter, Dachdeckerin, Fassadenbauer, Solarinstallateurin etc. gehören zu den nachgefragten Berufen der Energiewende und tragen massgeblich zur angestrebten Klimaneutralität der Schweiz bei.
Die Gebäudehülle ist die schützende Haut eines jeden Bauwerks. Sie umfasst alle Bauteile des Gebäudes, die dieses nach aussen abschliessen, wie Wände, Fenster oder Türen und sorgt damit unter anderem für Luftdichtheit und Wärmeschutz. Für Arbeiten an der Gebäudehülle braucht es gut ausgebildeter Fachkräfte, die wissen, wie man Gebäude fachgerecht dämmt und vor der Witterung schützt. Mit viel Präzision und einem hohen Mass an ästhetischem Verständnis tragen diese dazu bei, ein angenehmes Wohn- und Arbeitsklima zu schaffen und dass die Gebäude weniger Energie verbrauchen, was die Umwelt schont.
Durch eine geeignete Gebäudehülle Energie sparen
Jérome Egli, Mitglied der Kommission Betriebswirtschaft von Gebäudehülle Schweiz, Jurist und Betriebsökonom, geht von rund 96.6 TWh Strom aus, die 2050 jährlich in der Schweiz benötigt werden, falls zu dieser Zeit alle Autos elektrisch und alle Heizungen mit Wärmepumpen betrieben werden. Um festzustellen, ob dieser hohe Bedarf gedeckt werden kann, hat der Branchenverband eine Studie durchgeführt, bei der sich gezeigt hat, dass die Gebäudehülle einen massgeblichen Teil dazu beitragen kann, den hohen Strombedarf zu decken. Denn die energieeffiziente Planung und Erneuern von Gebäudehüllen bietet grosses Potenzial für Energieeinsparungen und stellt deshalb auch eine wichtige Massnahme im Rahmen des Klimaschutzes dar. Egli ist überzeugt: «Auf jedes Dach gehören zukünftig Solarpanels. Doch dies alleine genügt nicht. Rund 1,5 Millionen Gebäude in der Schweiz müssen saniert werden. Denn Modernisierungsmassnahmen am Gebäude sind zwingend notwendig, um die Energiewende zu schaffen. So können bis zu 17.25 TWh eingespart werden; das ist in etwa gleich viel, wie unsere ganze Mobilität benötigt!»
Das Haus der Zukunft ist ein kleines Kraftwerk
Jürg Grossen, Nationalrat und Präsident von Swissolar, pflichtet Egli bei: «Das Haus der Zukunft ist ein Kraftwerk, das mehr Energie produziert, als es verbraucht. Wer sich ein in die Jahre gekommenes Haus kauft, muss im Hinterkopf haben, dass neben dem Kaufpreis auch Kosten für das Modernisieren der Gebäudehülle auf ihn zukommen. Es ist wichtig, dass Eigentümerinnen und Eigentümer gut zu ihrem Gebäude schauen, um dessen Wert zu erhalten. Im Bereich Solarenergie können Bauelemente wie Fotovoltaikmodule und thermische Kollektoren bei Neu- und Umbauten eingesetzt werden, die zur Verbesserung der Energiebilanz beitragen. Aber auch die Wärmedämmung von Gebäuden ist ein wichtiger Eckpfeiler einer konsequenten Energiepolitik.» Idealerweise wird diese Etappe vor dem Heizungsersatz realisiert, damit ein Optimum beim Energiesparen erzielt werden kann.
Für energieeffiziente Gebäudehüllen braucht es innovative Fachkräfte
Den Menschen liegt das Klima am Herzen, so sehr, dass manche sogar bereit sind, sich dafür auf den Boden zu kleben. Doch um etwas fürs Klima zu tun, gebe es weitaus effizientere Wege, sind sich Egli und Grossen einig. Für die Energiewende im Gebäudesektor benötigt die Branche zeitnah eine grosse Menge an zusätzlichen Fachkräften. Egli geht in seiner Studie von sage und schreibe 16'500 Personen aus, die bis 2050 ausgebildet werden müssen. Deshalb werden mit Hochdruck neue, sinnstiftende Lehrberufe geschaffen, z.B. Solarmonteur/in EBA oder Solarinstallateur/in EFZ, aber auch neue Weiterbildungsberufe, wie Gebäudehüllenplaner/in HFP. Der Bereich «Cleantech» wird dabei grossgeschrieben, denn Technologien, Herstellungsverfahren und Dienstleistungen, die zum Erhalt unserer natürlichen Ressourcen und damit zum Umweltschutz beitragen, bedeuten ein enormes Wachstumspotenzial für die Wirtschaft.
Berufslehren der Gebäudehülle können in sechs Berufen als dreijährige EFZ- oder zweijährige EBA-Ausbildung absolviert werden:
- Abdichter/in EFZ und Abdichtungspraktiker/in EBA machen Flachdächer wetterfest, dämmen sie wärmetechnisch und begrünen sie.
- Dachdecker/in EFZ und Dachdeckerpraktiker/in EBA gestalten unterschiedliche Dächer. Ihre Arbeit ist bei Gebäudeerneuerungen von wesentlicher Bedeutung.
- Fachmann/-frau Sonnenschutz und Storentechnik EFZ und Montagepraktiker/in Sonnenschutz- und Storentechnik EBA kümmern sich kompetent um Montage, Unterhalt und Reparatur von Sonnenschutzsystemen.
- Fassadenbauer/in EFZ und Fassadenbaupraktiker/in EBA befassen sich mit Unterkonstruktionen, Wärmedämmungen und Bekleidungen von Fassaden.
- Gerüstbauer/in EFZ und Gerüstbaupraktiker/in EBA installieren unter anderem Fassadengerüste, Bauaufzüge, Notdächer, Tribünen und Sondergerüste.
- Solarinstallateur/in EFZ und Solarmonteur/in EBA montieren, installieren und reparieren elektrische Solaranlagen an Gebäuden.
Das Bildungszentrum Polybau bildet in der Deutsch- und Westschweiz an den Standorten Uzwil (SG) und Les Paccots (FR) mit je einem Campus Jahr für Jahr über 800 Lernende aus. Während der Blockkurse auf dem Campus leben und arbeiten die Jugendlichen eng zusammen – hier entstehen Freundschaften, die ein Leben lang halten. Materielle und immaterielle Anreizsysteme oder attraktive Arbeitsmodelle wie Teilzeitstellen, die im Jahr 2000 im Baugewerbe noch weitgehend inexistent waren, sorgen heute für Flexibilität und eine ausgeglichene Work-Life-Balance. Und kommt es während der Lehre trotzdem mal zu Stress oder Konflikten, können sich die Lernenden stets kostenlos an Linda Höin wenden. Sie ist Beraterin beim Bildungszentrum Polybau und sucht gemeinsam mit den Jugendlichen nach Lösungen, Verbesserungen und Auswegen.
Mit der Ausbildung von Flüchtlingen neue Wege beschreiten
Um den hohen Bedarf an Fachkräften zu decken, ist die Branche jedoch auch auf innovative Ideen angewiesen. Interessierte Quereinsteiger, Teilzeitarbeiterinnen, ja sogar Migranten sind herzlich willkommen. Dass dies durchaus ein Erfolgsmodell sein kann, zeigt unter anderem die Geschichte von Shoaib Faizi, der im Jahr 2015 im Alter von 22 Jahren als Flüchtling aus Afghanistan in die Schweiz gekommen ist und nach einem Sprachkurs erst erfolgreich die zweijährige Lehre als Dachdeckerpraktiker EBA und dann die verkürzte Lehre als Dachdecker EFZ absolviert hat. Im Sommer 2024 will Faizi zudem eine einjährige Zusatzlehre als Solarinstallateur EFZ anhängen. So kann er sich und seiner Familie ein Leben in der Schweiz finanzieren und eine sinnvolle, nachgefragte Arbeit verrichten.
Die Perspektiven im Berufsfeld Gebäudehülle sind vielversprechend
Die berufliche Grundbildung öffnet den Weg für eine vielversprechende Laufbahn. Ambitionierten Jugendlichen steht ein breites, modulares Weiterbildungsangebot bis hin zur Unternehmerausbildung als Gebäudehüllen-Meister/in HFP oder ab Sommer Gebäudehüllenplaner/in HFP offen. Die Weiterbildungen Energieberater/in Gebäude BP oder Projektleiter/in Solarmontage BP bieten interessante Perspektiven, ebenso wie das Studium Bauingenieur/in FH.