Forschung als Basis für Innovation: Wie die Empa Sicherheit und Fortschritt vereint
08.10.2024 von Rebecca Pozzoli Reportage
An der eidg. Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (Empa) sind zukunftsfähige Entwicklungen ein Muss. So wie Vögel ihren Jungen ein sicheres, warmes, gemütliches Nest aus nachhaltigen Ressourcen bauen, hat die Empa ein NEST (Next Evolution in Sustainable Building Technologies) entwickelt, um neue Baustoffe und Systeme, aber auch zukünftige Wohn- und Arbeitsformen unter realen Bedingungen zu testen. Progressive Forschende und begabte Handwerker/innen arbeiten hier Hand in Hand am Puls der Innovation.

Auf dem Boden der Tatsachen: Die Zukunft aus dem Kaffeesatz
Tobias Merz, gelernter Elektromonteur, Psychologe und Sicherheitsbeauftragter an den Standorten Dübendorf und Thun, meint schmunzelnd: «Womöglich klingt ‘Eidgenössische Materialprüfungs- und Forschungsanstalt’ etwas altbacken. Besser gefällt mir ‘Materials Science and Technology’, denn die bewährte Materialprüfung stellt nur noch gerade 5% der Aufgaben der Empa mit ihren Materialwissenschaftler/innen dar, 95% sind Forschung und Entwicklung.» Die Baumaterialien der Zukunft – seien es nun Tisch- und Bodenplatten oder Wandverkleidungen – bestehen aus Kaffeesatz, alten Jeans und benutzten Pappbechern. Das NEST als modulares Forschungs- und Innovationsgebäude der Empa macht’s möglich. Oberstes Ziel sind marktreife Lösungen, die einen nachhaltigen Umgang mit Energie und Ressourcen erlauben. Wie das aussieht, zeigt Merz seinen Kolleginnen und Kollegen von der Schweizerischen Gesellschaft für Arbeits- und Organisationspsychologie SGAOP bei einer exklusiven Führung; ein Privileg, denn das NEST wird ganz real von waschechten Bewohnerinnen und Bewohnern genutzt, die interessierten Besucherinnen und Besuchern freundlicherweise die Türen öffnen und Einblicke in die gute Stube, in Büroräume und Sitzungszimmer gewähren. Ihr Feedback gibt den Forschenden wertvolle Hinweise auf die Alltagstauglichkeit der Prototypen oder Konzepte.

Forschung und Handwerk: Ein starkes Team
Die Empa forscht in Materialwissenschaften, Ingenieurwesen, Nanotechnologie, Energieeffizienz und nachhaltigen Technologien. Doch was braucht es überhaupt, damit Innovationen entstehen, die dann auch wirklich sicherer, leichter, effizienter oder umweltfreundlicher sind? Im Stadium ihrer Entwicklung befinden sich Materialien und Werkstoffe prinzipiell auf dem Prüfstand. Erst wenn sie umfassenden Analysen und Tests unterzogen wurden, können die Forschenden, Ingenieurinnen und Ingenieure sie zur Anwendung in Bereichen wie Medizin, Umwelt, Bauwesen und Mobilität freigeben. Ein besonderer Fokus wird stets auch auf die Sicherheit gelegt, denn schliesslich soll durch die neuen Materialien niemand gefährdet oder verletzt werden. Neben rund 1'000 Mitarbeitenden sind auch 43 Lernende bei der Empa beschäftigt. Merz ist überzeugt, dass gerade die betriebstreuen Handwerker/innen und Lernenden massgeblich zum Arbeitsklima beitragen, da viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nur für kurze Zeit oder für ein konkretes Projekt bei der Empa arbeiten, weshalb die Personalwechselquote überdurchschnittlich hoch ist. Während engagierte Laboranten und Laborantinnen EFZ, sowie Physiklaboranten und Laborantinnen EFZ oder Konstrukteure und Konstrukteurinnen EFZ die Forschenden beim Austüfteln von neuen Lösungen unterstützen, setzen Elektroinstallateure und Elektroinstallateurinnen EFZ wie auch Polymechaniker und Polymechanikerinnen EFZ diese in modernen Anlagen um. Fachleute Betriebsunterhalt EFZ pflegen die Räumlichkeiten und die Umgebung auf dem Campus.
NEST – Gemeinsam an der Zukunft bauen
Staunend schlendert die Gruppe der Psychologinnen und Psychologen durch die Units des NESTs und beobachtet, wie innovative und nachhaltige Technologien unter realen Bedingungen entwickelt, getestet und umgesetzt werden. Die enge Kooperation mit Partnern aus Forschung, Wirtschaft und öffentlicher Hand führt dazu, dass die fortschrittlichen Konzepte schneller auf den Markt kommen. Dabei wird voll und ganz auf eine nachhaltige und kreislaufgerechte Produktion gesetzt, um den Rohstoffverbrauch und den CO2-Fussabdruck der Baubranche zu verringern. Eine Zweizimmerwohnung im NEST ist beispielsweise zu 96% aus kreislauffähigen Materialien gebaut – wobei weder geklebt noch verschweisst, sondern lediglich verschraubt worden ist. So können die einzelnen Bauteile, wenn das Gebäude irgendwann abgerissen wird, sortenrein abgebaut und recycelt werden. Zudem machen sich die findigen Köpfe verschiedene Materialeigenschaften zunutze: Wenn z.B. alte Tetra Paks zu Tischplatten gepresst werden, reicht der in der Getränkeverpackung verwendete Leim, damit die Platte stabil ist. Unter dem Motto «Leichter Bauen, effizienter Betreiben» wird auch mit Betondecken oder Wendeltreppen experimentiert, die bis zu 70% weniger Beton und 90% weniger Bewehrungsstahl benötigen, indem geschickt Geometrien optimiert werden. Im NEST bauen Roboter und Mensch kollaborativ auf der Baustelle und ermöglichen so neue Formen und komplexe Winkel während selbstlernende Heizungssteuerungen bei 25% weniger Energieverbrauch einen höheren Komfort bieten.

Vom «Bisi» zum Dünger – oder die Geschichte vom «Goldesel»
Die Eawag, das Schwesterinstitut der Empa, widmet sich der Wasserforschung und betreibt im Keller des NEST den «Water Hub», der eine ressourcenorientierte, dezentrale Abwasserbehandlung ermöglicht. So wird das Abwasser zu einer Quelle für Nährstoffe, Wasser und Energie. Diese Behandlung ist besonders hilfreich in Gebieten ohne Kanalisation oder Abwasserreinigung und entlastet zudem die vorhandenen Infrastrukturen. Die Toiletten im NEST sehen zwar aus wie ganz normale Klos, doch es sind wahre Zaubermaschinen: Sie trennen nach dem Prinzip des Teekanneneffektes den unverdünnten Urin vom schneller fliessenden Spülwasser, welches Fäkalien und Toilettenpapier mit sich führt. Fast wie bei der Geschichte vom «Goldesel» wird das, was «Backstage» rauskommt zu wertvollem Gold – denn aus den Nährstoffen, die im Urin enthalten sind, kann der Pflanzendünger «Aurin» produziert werden, der bereits heute auf dem Markt erhältlich ist.
Nach dem Besuch ist vor dem Besuch
Die Psychologinnen und Psychologen der SGAOP sind sich nach ihrem Rundgang einig: die Empa hat mit dem NEST einen Wohnkomplex der Superlative gebaut, der jederzeit einen Besuch wert ist! Unser Geheimtipp für alle, die schon immer mal wissen wollten, wie die Wohnräume in Zukunft aussehen könnten: Eine öffentliche Führung im NEST lohnt sich allemal.
Die EMPA zielt darauf ab, wissenschaftliche Erkenntnisse und technologische Innovationen zu fördern, die sowohl der Wirtschaft als auch der Gesellschaft zugutekommen. Dabei setzt sie auch auf die wertvolle Unterstützung ihrer Lernenden:
Lehrberufe bei der EMPA