Die Koch-Talentklasse empfängt einen prominenten Gast
07.11.2023 von Evelyn Hartmann Reportage
Seit rund fünf Jahren wird an der Allgemeinen Berufsschule Zürich (ABZ) eine Koch-Talentklasse geführt, um besonders motivierte Auszubildende speziell zu fördern – insbesondere durch mehr Zeit für fachliche Vertiefung im Unterricht. Nebst dem regulären Lernstoff haben die «Talente» die Möglichkeit, während spannender Exkursionen vieles aus erster Hand zu erfahren, mit Spitzenköchen und -köchinnen zusammenzuarbeiten und sogar ein Auslandspraktikum zu absolvieren. Wir durften die Klasse besuchen, als Dominik Flammer, der sich in der Gastroszene als Foodscout und Autor einen Namen gemacht hat, mit seinem Projekt «The MushRoom» zu Gast war.
Pilze: Das grosse Potenzial für die Küche von morgen
Es ist gerade Pause, als wir die Schulküche betreten – leer ist sie trotzdem nicht. In der Luft liegen wunderbare Düfte. Hier und da ist noch jemand etwas am Vor- oder Nachbereiten. Dann geht es auch schon weiter. Rund 15 Lernende zwischen 16 und 22 Jahren im dritten Lehrjahr zum/zur Koch/Köchin EFZ sind unter Anleitung von vier Ausgelernten, einem Berufsschullehrer und einem Gast am Werk: Es wird geschnitten, gerührt, gekocht, schön angerichtet und natürlich gekostet. «Pilze führen in der Küche noch immer ein stiefmütterliches Dasein», meint Dominik Flammer, der heute als Experte anwesend ist, «dabei haben sie mit ihrer Vielfalt an Geschmacksrichtungen ein enormes Potenzial». Mit dem dreiwöchigen Pre-Lab «The MushRoom», einem breit angelegten Experimentierfeld, möchte er Köchen und Köchinnen die Welt der Pilze näherbringen. Auch Absolventen und Absolventinnen aus der Talentklasse der Allgemeinen Berufsschule Zürich erforschen in diesem Rahmen die Spielräume diverser Zucht- und Wildpilze und entwickeln neue Rezepte. «Da wird es noch einen wahnsinnigen Schub geben», ist sich Flammer sicher, «und das nicht nur wegen der veganen Welle». Pilze seien nicht sehr nahrhaft – mit ein Grund, weshalb sie kaum Eingang in die traditionelle Küche gefunden hätten, denn früher seien Kalorien gefragt gewesen.
Experimentierfreude beim Nachwuchs
Maria und Livio haben ihre Ausbildung in der Talentklasse eben erst erfolgreich abgeschlossen. Jetzt stehen sie mit «The MushRoom» bereits wieder in der Schulküche. Dieses Mal jedoch als «Experte» und «Expertin», die frisch ausgetüftelte Pilz-Rezepte vermitteln. «Das ist schon eine steile Karriere», lacht Livio mit einem Augenzwinkern, «aber natürlich auch Teil der Förderung.» Denn nebst der einzigartigen Möglichkeit, Lerninhalte durch projektbezogenes Arbeiten zu vertiefen, an Wettbewerben teilzunehmen und Einblicke in die Lebensmittelproduktion zu gewinnen, können die Lernenden der Koch-Talentklasse auf exzellente Netzwerke zurückgreifen. So gut wie alle erhalten noch vor Lehrabschluss attraktive Jobangebote – oder eben die Chance, sich an einem spannenden Projekt zu beteiligen. «Ich habe innert kürzester Zeit fünfzig Pilzsorten kennen gelernt», erzählt Maria, und verrät, dass sie sogar in der Freizeit und am Wochenende noch gesammelt und weiter gekocht habe. Klar ist: Es gibt weit mehr als Champignon und Steinpilze. Und dass sich ein Hammer-Fastfood kreieren lässt, wenn man Igelstachelbart und Schwefelporling paniert und mit Mayo-Ketchup serviert, darüber sind sich bei der Tavolata alle einig. Auch mit verschiedenen Pfeffersorten wird fleissig laboriert: Die Blutreizker-Chips mit chilenischem Pfeffer schmecken ganz anders als die Semmelstoppel-Chips mit rotem Pfeffer. «In der Spitalküche haben wir nie so etwas Spezielles», bemerkt Giada, Kochlernende im Kantonsspital Winterthur. «Doch es ist toll, wieder einmal so schön anzurichten», fügt sie hinzu und strahlt beim Anblick der geschmackvollen Farbtupfer auf dem Teller.
Motivation und Fachkräftemangel – warum es eine Talentklasse braucht
Ins Leben gerufen wurde die Koch-Talentklasse 2019/2020 von der Allgemeinen Berufsschule Zürich. Die Führung der ersten Klasse und die Entwicklung der Inhalte übernahmen Alexander Wilhelm und Andrea Hanselmann, beide Berufsfachlehrer für Köche und Köchinnen an der ABZ. «Viele Lernende, die im herkömmlichen Unterricht unterfordert sind, verlieren die Motivation, manche brechen die Lehre sogar ab oder wechseln kurz nach Abschluss in eine andere Branche», erklärt Wilhelm. Mit der gezielten Förderung möchte man auch dem Fachkräftemangel entgegen wirken. Wer geeignet und entsprechend motiviert ist, kann sich im zweiten Semester für die Aufnahme in die Talentklasse bewerben. Der obligatorische Unterrichtsstoff wird in 75% der Zeit vermittelt. Das schaffe Raum für komplexere Projekte, wie eben z.B. heute mit Dominik Flammer als Gastreferent, der mit seiner Leidenschaft auch den Spirit rüberbringen könne oder für so anspruchsvolle Unternehmungen wie die Teilnahme am «Food Zürich», meint Wilhelm. Für dieses kulinarische Festival, welches jährlich stattfindet, entwickeln die Kochlernenden eigene Kreationen und arbeiten mit Grössen der hiesigen Gastroszene zusammen. «Manche haben so viel Biss, dass sie unzählige Versuche durchspielen, bis sie schliesslich das Ergebnis haben, das ihnen vorschwebte – wie etwa ein veganes Marshmallow».
«Es wird schon viel Eigeninitiative und Selbständigkeit von uns gefordert, das ist nicht immer einfach. Aber es lohnt sich, denn natürlich ist es durch die Exkursionen und Projekttage viel spannender.»
Emma Schwarb, KochlernendeInternationale Erfahrungen in Sterneküchen
Im dritten Lehrjahr können die Lernenden der Talentklasse während eines Auslandspraktikums sogar in einem Spitzenbetrieb mit mindestens einem Michelin-Stern Erfahrungen sammeln und ein Gefühl dafür entwickeln, was es heisst, in dieser Liga mitzuhalten. «Sie müssen vor allem zuverlässig sein und Gas geben, dafür erhalten sie eine Top-Ausbildung», so Wilhelm weiter. Das bedeute aber nicht, dass die anderen Klassen auf der Strecke blieben. Die ABZ führe regelmässig Veranstaltungen durch, bei denen die Talentförderung im Mittelpunkt stehe – für alle Berufe und Niveaus. «Auch die Befürchtung, dass man den anderen Klassen die Zugpferde wegnehmen und das Klassen-Level dadurch sinken könnte, hat sich nicht bestätigt», fügt er hinzu. Etwas Vorsicht geboten sei im Umgang mit dem Begriff «Talent», manchmal verleite er dazu, die angehenden Köche und Köchinnen zu überschätzen, «aber natürlich sind sie bei aller Begabung vor allem Auszubildende.» Emma Schwarb, Kochlernende in Didi’s Frieden sagt, «es wird schon viel Eigeninitiative und Selbständigkeit von uns gefordert, das ist nicht immer einfach. Aber es lohnt sich, denn natürlich ist es durch die Exkursionen und Projekttage viel spannender.» Sie lacht: «Und Pilze sind einfach cool!»