Praxisintegriertes Bachelor-Studium – all-inclusive ins Berufsleben
18.07.2023 von Evelyn Hartmann Reportage
Nach der Maturität direkt loslegen, Berufserfahrungen sammeln, ein Bachelor-Studium absolvieren und dabei auch noch Geld verdienen? – Ja, das geht. Das Pilotprojekt «PiBS» («Praxisintegriertes Bachelor-Studium») bietet in den Bereichen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik (MINT-Bereich) neue, attraktive Möglichkeiten.
Es ist noch jung, das praxisintegrierte Bachelor-Studium – und doch bereits so erfolgreich, dass es als zukunftsweisender Ausbildungsweg vielleicht schon bald dauerhaft in der Schweizer Bildungslandschaft verankert wird. Ins Leben gerufen wurde das PiBS vom Bund, um für den MINT-Bereich attraktivere Studienbedingungen zu schaffen und dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Das Studienmodell wendet sich explizit an Maturanden und Maturandinnen, die umgehend ins Berufsleben einsteigen möchten und trotzdem einen Bachelor-Abschluss anstreben. Ein einjähriges Praktikum, wie oftmals vorausgesetzt, ist hier nicht erforderlich, denn Theorie und Praxis gehen Hand in Hand: PiBS-Teilnehmende arbeiten während des gesamten Studiums rund 40% bis 50% in einem Unternehmen und erhalten einen angemessenen Ausbildungslohn. Manche Firmen beteiligen sich ausserdem an den Studiengebühren. Der Aufwand für das Kombi-Paket lohnt sich: Nach vier Jahren Fachhochschulstudium – anstatt der üblichen drei – verfügen erfolgreiche Absolventen und Absolventinnen nicht nur über einen Bachelor-Abschluss, sondern auch über eine solide Grundlage an Berufserfahrung. Zudem wissen sie in der Regel bis dahin, wie sie sich aufgrund ihrer Talente und besonderen Interessen auf ihre weitere Laufbahn ausrichten möchten, denn sie konnten ja vieles bereits ausprobieren, und nicht selten übernehmen sie im Anschluss an ihr PiBS verantwortungsvolle Positionen innerhalb ihres Ausbildungsbetriebs.
«Berufslehre» für Studierende
In gewisser Weise handelt es sich um eine «Berufslehre» für Studierende. Nur arbeiten sie als Praktikanten und Praktikantinnen in einer Firma anstatt als Auszubildende in einem Lehrbetrieb und besuchen eine Fachhochschule anstatt einer Berufsschule – und das in einem etwas anderen Verhältnis, eben halb Theorie, halb Praxis. Björn Jensen, Dozent im Bereich Informatik an der Hochschule Luzern, ist begeistert: «Das PiBS ermöglicht eine berufsqualifizierende Hochschulausbildung mit starkem Praxisbezug. Wir sind bestens vernetzt mit potenziellen Arbeitgebern und können bei der Suche nach geeigneten Praktikumsplätzen unterstützen. Ausserdem haben wir die Möglichkeit, PiBS-Studierende ins Ausland zu vermitteln. So können sie zeitgleich ihre Fremdsprachenkompetenzen erweitern und natürlich auch wertvolle Kontakte knüpfen.»
Auf die Frage, ob es Nachteile gebe, meint Jensen: «Es braucht eine aufmerksame Begleitung, denn vereinzelt können PiBS-Studierende durch die Doppelbelastung von Arbeitsalltag und Studium überfordert sein. Es liegt nicht allen, sich so selbständig zu organisieren und ein geeignetes Zeitmanagement zu entwickeln. Insgesamt sind wir aber sehr positiv gestartet und dabei, unser Angebot weiter auszubauen.» Gerade für Gymnasiasten, die nicht fünf Jahre bis zum Master warten wollen, bis sie in die Arbeitswelt eintreten können, sei dieses Studienmodell interessant, so Jensen. Zudem hätten PiBS-Absolventen und -Absolventinnen auf dem Arbeitsmarkt extrem gute Perspektiven, eben weil sie sich bereits viele berufsrelevante Kompetenzen über die reine Theorie hinaus aneignen konnten.
«Das, was man in der Theorie nur bedingt oder gar nicht lernt»
Michael HvidtAuch Michael Hvidt, IT-Experte in der Softwareentwicklung und Systemadministration bei der Swisscom, der sein PiBS an der Fernfachhochschule Schweiz (FFHS) absolviert hat, ist vom praxisintegrierten Studium überzeugt. Er beschreibt seine Erfahrungen anschaulich in einem längeren persönlichen Beitrag (hier zu lesen) und betont, dass der Praxistransfer nicht nur darin bestehe, wie man Theorie und Praxis miteinander verknüpft, sondern genauso das Unternehmerische betreffe, «sprich das, was man in der Theorie nur bedingt oder gar nicht lernt, was aber im Berufsumfeld zum Alltag gehört». Soziale und methodische Kompetenzen, die sogenannten Softskills, würde man sich nun einmal mehr bei der konkreten Arbeit im Betrieb aneignen als im Vorlesungssaal, etwa «wenn es darum geht, Sicherheitsrichtlinien im Zusammenhang mit Geschäftsdokumenten zu befolgen oder mit Auftraggebern umzugehen, auch wenn diese auf Anfragen, Feedback oder Präsentationen nicht nach Lehrbuch reagieren.» Vor allem «mache es aber enorm Spass, das Gelernte am nächsten Tag direkt in ein Produkt einfliessen zu lassen und es somit voranzubringen», meint Hvidt weiter.
Doch auch die Unternehmen profitieren, wenn durch PiBS-Studierende wertvolle Inputs aus den Hochschulen einfliessen und der Wissenstransfer in beide Richtungen erfolgt. Zudem sind viele Firmen sehr daran interessiert, ihre Praktikanten und Praktikantinnen nach erfolgtem Bachelor-Abschluss zu übernehmen, denn es handelt sich bei ihnen ja bereits um bestehende Mitarbeitende, die keine aufwendigen Einarbeitungsprozesse mehr durchlaufen müssen. Ob sich das PiBS als Bildungsangebot für junge Menschen durchsetzen mag, wird sich weisen. Doch die bisherigen Erfahrungen für diese das praxisintegrierte Bachelor-Studium erweisen sich als äusserst vielversprechend.