Mit einem Anerkennungspreis fördert die Schweizerische Gesellschaft für angewandte Berufsbildungsforschung den Transfer qualitativ guter Berufsbildungsforschung in die Praxis der Berufsbildung. Erster Preisträger ist das Projekt Realto. In diesem digitalen Raum begegnen sich Berufsfachschule und berufliche Praxis. Die Preisverleihung fand am 27. November 2020 statt.
Nicht immer erleben Lernende in der Berufsbildung, dass der Stoff in der Schule zur Arbeit im Betrieb passt. Darum sollten die Lernorte noch besser kooperieren. Eines der spektakulärsten Innovationen in diesem Bereich ist das Projekt Realto – benannt nach der berühmten Brücke in Venedig. Es hat jetzt den Anerkennungspreis der Schweizerischen Gesellschaft für angewandte Berufsbildungsforschung (SGAB) erhalten, der mit 5000 Franken dotiert ist.
Realto ist eine digitale Plattform, auf der sich die drei Lernorte Schule, Betrieb und überbetriebliche Kurse austauschen können. Hier können die Lernenden selber und ihre Bildungsverantwortlichen Bilder, Notizen oder Texte zu platzieren oder zu kommentieren. Christoph Wüthrich unterrichtet angehende Malerinnen und Maler. Er sagt: «Dank Realto kommt die Realität auf den unterschiedlichen Baustellen in mein Klassenzimmer». Wüthrich beauftragt seine Lernenden sehr häufig mit gezielten Fotoaufträgen. Beispiel Bauteilekunde: «Wie sieht in eurem Betrieb eine Pfette aus, eine Ziegelliste, ein Ortbrett?» Oder Arbeitssicherheit: «Fotografiert eine Leiter, auf der ihr arbeitet!» An diese Fotos knüpft Christoph Wüthrich dann im Unterricht an.
Realto wurde im Rahmen eines Forschungsprojekts unter der Leitung von Professoren der ETH Lausanne, der Uni Fribourg und des EHB Lugano entwickelt und durch das Schweizer Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI) gefördert. Realto ist unkompliziert via Mobile oder Computer zugänglich; es ermöglicht den Lernenden, unabhängig von Zeit und Ort wichtige berufliche Erfahrungen festzuhalten und sich auszutauschen. Weil diese Aktivitäten für alle Berechtigten einsehbar sind, kann dadurch die Kooperation zwischen den Lernorten gestärkt werden. Beobachtungen haben gezeigt, dass betriebliche Berufsbildnerinnen und Berufsbildner, die wissen, welche Themen in der Berufsfachschule aktuell sind, eher bereit sind, die Lernenden in ihren Schulaktivitäten zu unterstützen.
Die Jury der SGAB sieht im Projekt eine «idealtypische Illustration eines gelungenen Transfers von Forschung in die Praxis». Sie begründet: «In diesem Projekt gibt es eine langjährige Forschung, die aufgrund von Projektanträgen mit Peer review-Qualitätsprüfung geplant und in Artikeln in Wissenschaft mit Peer review und in der Praxis publiziert worden ist. Diese Forschung wird in der Wissenschaft rezipiert. Aus dieser Forschung resultierte ein innovatives Tool, mit dem in exemplarischer Art der Lerntransfer zwischen Lernorten unterstützt wird. Dieses konkrete Praxisprojekt wird nun von Praktikerinnen und Praktikern nachgefragt und stösst auf positive Resonanz.»
Heute arbeiten mehr als 250 Lehrkräfte, rund 100 Betriebe aus zehn Berufen und etwa 1500 Lernende mit dem Instrument – hauptsächlich zur Erstellung von Lerndokumentationen. Realto ist kostenlos zugänglich und in allen drei Landessprachen verfügbar.
Die SGAB fördert den Austausch von Forschung und Praxis
Die Schweizerische Gesellschaft für angewandte Berufsbildungsforschung (SGAB) bildet eine Brücke zwischen der Berufsbildungsforschung und den Akteurinnen und Akteuren der Praxis (berufliche Grundbildung, Höhere Berufsbildung, Weiterbildung). Ihre Hauptaktivitäten sind die Durchführung von Tagungen und die Publikation des digitalen Forschungsmagazins «Transfer. Berufsbildung in Forschung und Praxis». Mit einem Anerkennungspreis würdigt die SGAB ausgezeichnete Anwendungen der Berufsbildungsforschung. Der Preis wurde 2019 erstmals ausgeschrieben; er wird alle zwei Jahre vergeben. Wegen Corona fand die Preisverleihung vom 27. November 2020 virtuell statt.
Neben dem siegreichen Projekt Realto waren zwei weitere Projekte nominiert.
- «Betriebliche Berufsbildnerinnen und Berufsbildner und ihre Schlüsselrolle bei der beruflichen Sozialisierung» (EHB: Prof. Dr. Nadia Lamamra, Prof. Dr. Carmen Baumeler, Dr. Barbara Duc, Roberta Besozzi). Die Jury befand, dass das Projekt eine wichtige Frage thematisiere, die erstaunlicherweise bisher kaum systematisch erforscht worden sei. Das Projekt gehe hier neue Wege.
- «Unternehmerisches Denken und Handeln an Berufsfachschulen der Schweiz – Effektive Vermittlung unternehmerischer Kompetenzen» (Universität St. Gallen, KMU-HSG, Prof. Dr. Susan Müller). Die Jury nominierte das Projekt, weil es sich «aus einer guten Forschung und einer guten Praxis» zusammensetze. Die Idee, das Unternehmertum in der Schule stärker einzuführen, sei innovativ und könne zu einer Weiterentwicklung der Schule führen.