Von der PR-Agentur in die Welt: Wie man digitale Nomadin wird
10.02.2020 von Lionel Hausheer Reportage
Anina Torrado ist digitale Nomadin. Als Kommunikationsspezialistin reist sie um die Welt und arbeitet, wo immer sie gerade ist. Im Portrait erzählt sie, wie es dazu kam.
Jetzt gerade bin ich im Eje Cafetero (Kaffeedreieck) in der Nähe von Medellin, Kolumbien. Früher war das eine gefährliche Gegend, wegen den Drogenkriegen der Kartelle. Heute hat sich die Lage entspannt. Eigentlich wohne ich gerade seit zwei Monaten in Medellin, bin jetzt aber für ein paar Tage rausgefahren aufs Land zu einem alten Kolonialhaus. Ich arbeite als selbstständige Kommunikationsberaterin und lebe als digitale Nomadin.
Bis 2003 studierte ich an der Hochschule St. Gallen. Es gab dort den Studiengang Informations- und Technologiemanagement, das war rückblickend wohl einfach ein Betriebswirtschafts-Studium mit Fokus auf die neuen Technologien. Nach zwei Jahren hätte ich beinahe abgebrochen. Ich habe mich irgendwie fehl am Platz gefühlt, mir fehlte die Kreativität.
Ich nahm mir ein Zwischenjahr, ging reisen und habe in einer Consulting-Firma gearbeitet. Die Stelle in der Firma war ein wenig meine KV-Lehre. Viele Studienabgänger können Ende Studium keinen Brief schreiben, Berichte überarbeiten oder andere grundsätzliche Dinge. Genau das habe ich dort gemacht. Ich bin schon immer gerne gereist. Ich hatte oft das Gefühl, es sei verlorene Zeit, wenn ich an Ostern die paar freien Tage einfach zuhause bleibe.
Nach dem Zwischenjahr habe ich mich dazu entschieden, die HSG fertig zu machen, wobei ich nach dem Studium ganz absichtlich nicht die klassische Karriere gestartet habe. Die meisten heuern nach dem Studium in Beraterfirmen an. Ich ging in eine PR-Agentur nach St. Gallen.
In der Agentur habe ich das Marketing-Handwerk gelernt, vor allem Schreiben und wie Public Relations funktioniert. Später konnte ich dann zu IBM wechseln und habe dort die interne Kommunikation für den deutschsprachigen Raum übernommen. Am Schluss landete ich bei Raiffeisen in der Kommunikations-abteilung. Mit meinem Team habe ich an der Schnittstelle zwischen Kommunikation und Content Marketing verschiedene Publikationen herausgegeben, darunter beispielsweise das Kundenmagazin und die Geschäftsberichte.
Zu dieser Zeit hat Raiffeisen angefangen, den Arbeitsplatz zu digitalisieren. Es gab eine Infrastruktur für Internettelefonie, die Datenstruktur wurde weltweit zugänglich gemacht. Aber wenige haben das wirklich genutzt, um ortsunabhängig zu arbeiten.
Ein ehemaliger Chef von mir machte mich auf ein Programm aufmerksam, das Remote Year. Die Organisatoren bilden Communities für Leute, die von unterwegs aus arbeiten können. Gemeinsam reist man ein Jahr um die Welt und arbeitet jeweils einen Monat in einer Grossstadt.
Wenn man eigentlich in einer Firma angestellt ist, aber von unterwegs arbeitet, muss man ein paar Strategien haben.
Als ich damals meinen Chef bei Raiffeisen fragte, ob es wohl möglich wäre, ein oder zwei Monate vom Ausland aus zu arbeiten, dachte ich, er lehne bestimmt ab. Aber er war im Gegenteil sehr interessiert und gab am nächsten Tag sein «OK». Mit einer Bedingung: Ich solle nicht für ein paar Monate gehen, sondern für ein ganzes Jahr. Da bin ich beinahe erschrocken, das war nun definitiv ein Schritt aus der Komfortzone.
Digitale Nomaden sind häufig hochqualifizierte Leute, meist zwischen dreissig und vierzig. Es gibt viele Webentwickler, Marketingleute, Grafiker aber auch Stadtentwickler, Fashionstylists oder Leute, die das Jahr nutzen wollen, um ein Buch zu schreiben.
Wenn man eigentlich in einer Firma angestellt ist, aber von unterwegs arbeitet, muss man ein paar Strategien haben. Zum Beispiel habe ich versucht, jeden Tag mit allen im Team wenigstens kurz zu telefonieren. Wie man solche Gang-Gespräche auch im Büro führt. Das ist wichtig für die Beziehungen, man muss die Kontakte viel bewusster pflegen.
Seit einiger Zeit bin ich nun aber selbständig als Kommunikationsspezialistin. Ich mache Storytelling und PR für Kunden, beispielsweise schreibe ich Fachartikel, blogge und publiziere das Kundenmagazin von Raiffeisen als externe Agentur.
Für mich ist es die perfekte Lebensform. Die Entscheidung, das Jahr als digitale Nomadin zu wagen, hat mein Leben total verändert und es war eine gute Entscheidung. Ich habe zu mir gefunden, ich bin komplett entspannt und die Arbeit macht mir Spass. Wenn ich hier rausschaue, sehe ich einen Pool und die Kaffeeplantagen von Kolumbien. Wenn mich ein Recruiter fragen würde, was ich in fünf Jahren machen will, ich wüsste nicht, was ich anders wollte.
Dieser Beitrag ist als Erstpublikation auf eduwo.ch erschienen.