Virtual und Augmented Reality - mehr als nur ein Spiel
23.06.2023 von Evelyn Hartmann Reportage
Im Immersive Realities Center der Hochschule Luzern gehen Virtuelles und Reales fliessend ineinander über: ein Erlebnis, das viele vor allem aus dem Gaming-Bereich kennen. Doch es geht um mehr als reine Unterhaltung. Als fachübergreifende Plattform fördert das Zentrum den Wissensaustausch zwischen Hochschule, KMU und Schulen und strebt nicht zuletzt die Integration der neuen digitalen Technologien im Unterricht an. Wir haben eine Klasse der Kantonsschule Musegg bei ihrem Workshop begleitet und dabei auch einen Blick in die Robotik geworfen.
Ein Ökosystem der besonderen Art
Im Gespräch mit Antonio Russo, dem Co-Leiter des Immersive Realities Center (IRC), wird schnell klar, dass wir eine aussergewöhnliche Welt betreten. Das liegt nicht allein an der reichen Sammlung an Virtual Reality-Brillen und den vielversprechenden Workshop-Stationen, die wir im Showroom antreffen. Forschung und Technik, Spiel und Bildung, Wissensaustausch und Präsentation rund um Extended Reality (XR) greifen hier innovativ ineinander, um sich ähnlich wie in einem Biotop gegenseitig zu befruchten und die technische Entwicklung voranzutreiben. Tatsächlich entsteht so ein vielschichtiger und einzigartiger Begegnungsraum. «Für uns ist es zentral, mit diesem niederschwelligen Angebot verschiedenen Zielgruppen die Möglichkeit zu bieten, sich auch ausserhalb des Gaming erfolgreich mit XR-Technologien auseinanderzusetzen», betont Russo.
Das IRC zeigt, wie die digitalen Zukunftstechnologien in Branchen wie beispielsweise der Industrie, der Medizin oder der Architektur bereits angewendet werden. Meist ist der Mehrwert hier offensichtlich. Planung und Präsentation eines noch nicht gebauten Gebäudes vereinfachen sich durch ein visualisiertes, immersives 3D-Modell enorm. Ein grosses Thema ist auch der ganze Remote Support dank dem Servicetechniker und Servicetechnikerinnen in der Lage sind, Reparaturen durchzuführen, ohne dabei persönlich vor Ort erscheinen zu müssen. Aktuell bestehe eine unglaubliche Nachfrage bezüglich Künstlicher Intelligenz und Robotik, die immer stärker zum Einsatz komme: Sei es, dass es um virtuelle Arbeits- und Meetingräume für Banken und Anwaltskanzleien geht, sei es, dass die Arbeitssicherheit im Vordergrund steht, wenn anstatt Menschen Rasenmäher die Gleise der SBB freihalten.
Im IRC können sich Besucher und Besucherinnen zudem mit Extended Reality vertraut machen, ohne gleich selber in die kostspielige Technologie investieren zu müssen. Das sei vor allem für Schulen und KMU interessant, denn für sie sei es oft schwierig abzuschätzen, welche technischen Erneuerungen sich für sie wirklich lohnen, meint Russo weiter. Gemeinsam mit Mitarbeitenden der Hochschule können Firmen gewinnbringend Projekte realisieren und dazu Know-how und moderne Infrastruktur des IRC nutzen – etwa wenn ein Unternehmen seiner Kundschaft den Besuch einer Kaffeeplantage ermöglichen möchte.
Modernes Lernen durch XR-Technologie
Zweifelsohne sind XR-Technologien im Bildungsbereich zunehmend von Bedeutung. Zum einen ist es für Schüler und Schülerinnen per se spannend, wenn sie Lerninhalte wie zum Beispiel den Stromkreis oder die Funktion des Herzens durch die virtuelle Brille erkunden und selber interagieren können. Zum anderen bleibt Erlebtes bekanntlich besser im Gedächtnis als nur Gelesenes oder Gehörtes. Viele haben beim Erlernen einer Sprache auch weniger Hemmung selber zu sprechen als im konventionellen Unterricht. Die «Maschine» korrigiert zwar, aber sie spöttelt nicht, wenn’s bei Aussprache und Wortwahl noch hapert.
Dadurch, dass sich gerade Arbeitsabläufe sehr gut anhand von Extenden Reality trainieren lassen, halten diese nicht nur in Firmen immer mehr Einzug, sondern auch in Berufsschulen. Hier sind es nebst Kostenüberlegungen vor allem Aspekte der Sicherheit, die überzeugen – denken wir nur einmal an die Installierung von Starkstromleitungen oder an das Bedienen eines Gabelstaplers zwischen turmhohen Regalen. Und wenn angehende Imker und Imkerinnen sich ihr Handwerk virtuell aneignen, freuen sich sicher auch die Bienen.
Wie wirklich ist die die virtuelle Wirklichkeit?
«Seit der Informatikunterricht obligatorisch ist, besuche ich das IRC mit jeder Klasse einmal», sagt Giada Rutar, Lehrerin für Physik und Informatik an der Kantonsschule Musegg. Das komme immer gut an. Für die meisten sei es ein eindrückliches Erlebnis, die ganze Bandbreite der Extended Reality zu sehen und damit interagieren zu können. Sobald die Jugendlichen zu den Brillen greifen und mit den unterschiedlichen Programmen experimentieren, wird es schlagartig lebendig im Raum: Offensichtlich berührt das Eintauchen in die virtuelle Welt eine spielerische Seite – das ist wohl nicht nur bei Teenagern so – und die Effekte der immersiven Wirkung sind für manche so überraschend, dass sie körperlich mitgehen. Das erklärt auch, warum vor den meisten Stationen Gummimatten liegen. Es sei schon vorgekommen, dass das Kitzeln eines virtuellen Hundes und dessen überbordende Freude zu einem nicht-virtuellen, ganz realen, Sturz auf den Boden führte, erzählt Marco Schäfer, Technischer Mitarbeiter des IRC. Nina, eine Schülerin, die mithilfe von «Open Brush» eben ein ganzes Blumenfeld in den Raum gezeichnet hat, meint: «Es ist etwas gewöhnungsbedürftig, aber je mehr man reinkommt, umso mehr Spass macht’s.» Für sie sei es aber vor allem ein Spiel. Wirklich damit zu arbeiten, könne sie sich nicht vorstellen. Matteo doppelt nach: «Ich kann mir gut vorstellen, mal zwei Stunden lang mit der VR-Brille zu lernen. Dann bräuchte ich allerdings eine Pause für die Augen, einen Spaziergang in der Natur. Die Mischung macht’s!»
Robotik und Künstliche Intelligenz
«Hat jemand einen Roboter zu Hause?» Die Frage von Björn Jensen, Dozent an der Hochschule Luzern, wird von den Schülerinnen und Schülern allgemein verneint. «Einen selbständigen Staubsauger oder Rasenmäher?» Da sieht die Sache schon etwas anders aus. Womit wir mitten im Thema sind: Roboter und Künstliche Intelligenz (KI) sind bereits Teil unseres Alltags, oft ohne dass wir uns dessen bewusst sind. Damit rücken auch ethische Fragen ins Feld. Wahrscheinlich hat kaum jemand etwas dagegen einzuwenden, wenn Laufroboter in radioaktiv verstrahltem Gebiet ein Leck flicken oder Minenfelder räumen, ohne dass die Sicherheit von Menschen gefährdet ist. Was aber ist, wenn sie schöner malen oder besser schreiben als Menschen? Ist das die Gesellschaft, in der wir leben wollen? In der Schlussrunde äussern sich die Jugendlichen eher zurückhaltend. So ganz können sie es sich nicht vorstellen, dass sich KI und Robotik durchsetzen werden, denn ein Roboter könne einen Menschen doch nicht ersetzen. Sicher werden hier parallel zur laufenden technischen Entwicklung auch die Ethiker und Ethikerinnen der Zukunft gefragt sein.
Lehrpersonen, die ihrer Schulklasse einen Besuch im IRC in Rotkreuz ermöglichen möchten, wenden sich an Antonio Russo, Projektleiter VR / AR in der Berufs- und Schulbildung, HSLU, Tel: +41 41 349 30 58, E-Mail: antonio.russo@hslu.ch.
«Immersiv» – «virtual» – «augmented» – «extended» alles klar?
«Immersiv» geht auf das englische Wort «immersion» zurück und bedeutet «Eintauchen» oder im weiter gefassten Sinn «Vertiefung in eine Sache». In der deutschen Sprache bezeichnet «immersiv» entsprechend das Eintauchen in eine virtuelle Welt. Je realer und in sich logisch diese Scheinwelt aufgebaut ist, umso mehr verblasst die Wirklichkeit darum herum. Damit ist bereits angedeutet, dass das Wort «virtuell» etwas beschreibt, das ausgedacht ist. Insbesondere der Begriff «Virtual Reality» bezeichnet ein digitales, am Computer geschaffenes Abbild der Realität. Während die «Virtual Reality» die reale Umgebung durch eine Simulation ersetzt, erweitert die «Augmented Reality» diese, indem sie dem Abbild der tatsächlichen Umgebung digitale Elemente hinzufügt. Wenig überraschend wird «augmented» denn auch mit «erweitert» übersetzt. Extended Reality oder einfach X Reality (XR) bezieht sich auf alle kombinierten realen und virtuellen Umgebungen und ist ein Sammelbegriff für Augmented Reality (AR) und Virtual Reality (VR) sowie die zwischen ihnen interpolierten Bereiche. Die Technologie soll die physische mit einer virtuellen Welt kombinieren oder spiegeln und in der Lage sein, miteinander zu interagieren.